von Amerungen und Gulse
Amerungen und Gulse sollen zusammen behandelt werden. Gulse lag dicht bei Amerungen an der Altenau in Richtung Neue Mühle. Es war wohl nur ein Einzelhof Hof, der schon im Mittelalter mit Amerungen verschmolzen sein mag. Die sogenannte Günselmühle oder Gulser Mühle überdauerte die Wüstungsprozesse und wurde endgültig erst 1838 aufgegeben. Ihre Grundmauern sind noch heute sichtbar. Beide Siedlungen werden dem Rande des Sintfeldes zugerechnet, dessen Ostgrenze im Mittelalter das Altenautal war. Die Dorfstelle von Amerungen läge demnach außerhalb des Sintfeldes noch im Soratgau. Das Amerunger Feld liegt westlich der Altenau, und außerdem liegt die Dorfstelle Amerungen im äußersten Winkel der Mark (1).
Der Name Amerungen wird im 12. Jahrhundert zum ersten Mal überliefert. 1179 wird ein Thiederico comite de Amerungen genannt (2). Der noch bis ins 17. Jahrhundert bekannte Freistuhl und sein Sitz, der Lindenhof, haben damals Zeit also sicher schon bestanden. 1201 und 1203 wird die Siedlung Amerungen erwähnt (3), und 1264 (4), 1265 (5) und 1283 (6) ist eine Familie de Amerungen in Paderborn überliefert. Der Lehnsherr eines Heinrich Brunnen bestätigt 1308 den Verkauf eines Gutes in Amerungen an das Busdorfstift in Paderborn (12). 1310 wird eine halbe Hufe Land in campis Amerungen von Rudolf, comes zu Amerungen, an Mathie scolari filio Henrici de Stadelhof unter der Bedingung verkauft, daß den Patres zu Hardehausen jährlich davon 18 Denare pensionis nomine gezahlt werden (7).
Die Besitzverhältnisse in Amerungen sind sehr kompliziert und verschieben sich häufig, was eine genaue Übersicht erschwert.
1355 erwirbt das Busorfstift St. Petrus und Andreas zu Paderborn von Werner von Asseburg und Herman und Werner von Brakel einen halben Zehnten zu Amerungen (8).
Einen Teil dieses Zehnten hatte zu dieser Zeit Henricus Bunne inne (9), den anderen Adam Rump (10). Der bischof bestätigt den ganzen Besitz noch einmal 1336 (11). Noch 1389 soll ein Hermann Rogenhardus als Freigraf von Amerungen genannt worden sein (12). Der Freistuhl war also zu dieser Zeit anscheinend noch Gerichtsstätte, obwohl die Siedlung nach den bislang gemachten Keramikfunden bereits seit dem Ende des 13. Jahrhunderts wüst gewesen ist. Wahrscheinlich war der Lindenhof länger besetzt. Wir können aber auch aus der Nennung des Freistuhls, der auf ihm lag, keine Schlüsse auf den Lindenhoff ziehen; denn noch 1611 werden die Calenberger mit dem Freistuhle belehnt (13), obwohl es bereits seit 1487 (14) fraglich ist, ob hier überhaupt noch Gericht gehalten wurde.
1430 ist mit alten Leuten aus der Umgebung eine erste Grenzbegehung im Amerunger Gebiet vorgenommen worden. (19). 15 Jahre später kommt der Besitz Hardehausens in Amerungen es handelt sich wohl um das im 13. Jahrhundert erworbene Gulse an das Augustinerkloster Dalheim (20). Die Aufzählung des Dalheimer Besitzes von 1459 (21) scheint dies zu bestätigen. Demnach gehörte dem Kloster nunmehr der gesamte Raum zwischen Neuer Mühle, Gunselmühle und Blindeborn. Es besaß aber nur einen Teil des Amerunger Feldes, auf dem es bereits 1430 4 Morgen Land hatte. 1474 erwirbt Dalheim von den Calenbergern weitere Ländereien zur Nutzung auf 5 Jahre. Der Vertrag bestimmt folgendes: Ferner soll das Kloster 4 Morgen Acker von dem Nonnenholze im amerunger Felde und eine Hufe Landes daselbst, die ihr Vater früher tauschweise gegen einen Hof in Verst (d. i. Versede, Wüstung bei Atteln) erhalten hat, benutzen. Jedoch sollen sie berechtigt sein, nach 5 Jahren diese Grundstücke wieder an sich zu nehmen. Wenn letzteres geschehen ist, und sie verkafuen ihr Dorf Amerungen ganz oder zum Teil, dann soll das Kloster von Stunde an von seinem Gute zu Husen die Pacht wieder beziehen oder dasselbe selbst wieder benutzen oder bemeyern. (22). 1478 wird der Besitz des Klosters erneut ausgedehnt (23). Dalheim greift über die Altenau hinüber und erwirbt die gesamte Altenauniederung zwischen Sirexer Mark und Amerunger Teichen (24), einschließlich des vorwostede dorpp amerungen geheten. 1497 haben die Calenberger ihren Besitz im Altenautal endgültig aufgegeben, indem sie auf das Wiederkaufsrecht am Lindenhoff verzichteten (25). Sie haben lediglich den Freistuhl behalten, mit dem sie wie bereits erwähnt noch 1611 belehnt wurden. 1502 war auch die Amerunger Kirche wohl nur noch eine Ruine. In diesem Jahre verkauft das Busdorfstift zu Paderborn seine Zehnten zu Amerungen an das Kloster Dalheim, behält sich jedoch den Anteil des Amerunger Zehnten auf dem Berge nach Lichtenau hin für sich vor (12). Es ist in diesem Vertrag die Rede von den Grundstücken im Tale zu Amerungen, wo vor Zeiten die Amerunger Kirche stand, bis an die Dalheimer Mark. Ausdrücklich wird betont, daß das Busdorfstift seit Menschengedenken und länger keine Einnahme von diesen Zehnten gehabt habe, weil die Gegend verwildert, verwachsen und verwüstet sei. Auch hieraus läßt sich sehr zweifelsfrei schließen, daß Amerungen 1502 schon lange Wüstung war. Auch das Kloster Hardehausen war an den komplizierten besitzverhältnissen in amerungen beteiligt. Pagendarm (12) schreibt dazu: 1510 erklären Abt und Konvent von Hardehausen, daß ihre Vorgänger im Jahre 1445 eine halbe Hufe Land zu Amerungen an die Klöster Böddeken und Dalheim verkauft hätten; dieselbe Hufe wird auch bei der Auseinandersetzung der beiden Klöster erwähnt. Nachweislich hat das Kloster Dalheim vor 1429, bzw. vor 1389 Gefälle aus einer Hufe zu Amerungen bezogen. Eine Hufe entspricht etwa 30 Morgen oder 7,5 Hektar.
Nach Wöhlke (30) mag Amerungen ursprünglich aus 3 Höfen bestanden haben, ab Mitte des 14. Jahrhunderts wurde auch Gulse dazugerechnet. Im 14. Jahrhundert hat die Familie v. Calenberg in Amerungen einen Besitz aufgebaut, der von den Hungerkämpen westlich des Dalheimer Tales bis nach Holtheim reichte. Dalheim hat hiervon im 15. Jahrhundert das Gebiet bis zum Rande des Soratfeldes erworben. Das Amerunger Feld ist aber anscheinend nicht vollständig in den Besitz des Klosters gelangt, denn die Mönche haben südlich davon den neuen Kamp gerodet.
Schließlich sind noch einige Bemerkungen zum Freistuhl nötig, der uns seit 1179 durch den Comes überliefert ist. Pagendarm (26), dem die Urkunde von 1179 bekannt war, hat erst aus einer späteren Nennung des Freigrafen im Jahre 1310 (27) auf einen Freistuhl geschlossen, und Lippert (28) hat endlich, entgegen den Tatsachen und ohne Nennung von Quelle oder Zeitpunkt, behauptet, der Freistuhl sei auf den adelig bürenschen Hof zu Syrexen übergegangen. Wichtiger ist aber, daß Amerungen zum ersten Mal 1179 zusammen mit dem Freistuhl genannt wird. Dieser lag, wie wir wissen, auf dem Calenberger Lindenhoff. Noch 1016 hat etwa einen Kilometer ostwärts der Freistuhl in Sewardessen bestanden. Sewardessen war im 15. Jahrhundert ebenfalls Calenberger Besitz, der anscheinend aus den noch im 13. Jahrhundert im südlichen Soratfeld verbreiteten Marschalksgütern enstammte. Da der Freistuhl in Sewardessen nach 1016 nicht mehr erwähnt wird, liegt folgende Vermutung nahe: Sewardessen ist bereits vor 1179 geteilt worden, ein Teil begegnet uns später in Holtheim (29); der andere Teil ist mit dem Freistuhl zu Amerungen geschlagen worden, wobei die Gerichtsstätte auf den Lindenhof verlegt wurde. Pagendarm (12) macht weitere Angaben zum Amerunger Freistuhl: aus dem Auszuge eines Briefes von 1389 erfahren wir, daß damals Hermann Rogenhardus Vrygreve der Grafscop van Amerungen war. Im Erbschaftsvertrag der Brüder und Vettern von Calenberg aus dem Jahre 1493 wird u. a. bestimmt: item to Amerungen den frien Stol und dat gerichte dar Sulves myt aller tobehoringe sollen se semptliken heffen und dar entgegen sallen Hermann und syne Sonne heffen eynen buwe Hoff to Amerungen genant de Lindenhoff und sollen des gaenerven bliven to beyden syten Ob der Freistuhl zu Amerungen den gewöhnlich die Herren von Calenberg von dem fürstlichen Hause Waldeck zu Lehen trugen, bis zur allgemeinen Aufhebung der Freigerichte im Fürstbistum Paderborn im Jahre 1763 bestanden hat, ist uns nicht bekannt. Soweit Pagendarm zum Freistuhl.
Amerungen hat am Zusammenfluß von Holtheimer Bach und Altenau gelegen. Der Lindenhoff lag nach der Angabe von 1497 under dem Backenberghe twysschen dem water unn eyne weße dar enbouen de dar stot up den dyck to Eylwerßen…, also gegenüber der Kapelle zwischen Holtheimer Bach und Altenau. Die beiden anderen Höfe lagen nach Wilhelm Wöhlke im Gebiet der heutigen Amerunger Kapelle, die wohl die Stelle eines älteren Gotteshauses eingenommen hat. Ostwärts und westlich der Kapelle war der Boden bei der Besichtigung durch Wilhem Wöhlke in großen Flecken dunkel verfärbt. An vielen Stellen, etwa 80 m beiderseits der Kapelle, traten Scherben mittelalterlicher Keramik auf. Wöhlke vermutete aus ihrer Verbreitung, daß hier die beiden Höfe von Rump und Bunne gelegen haben. Heute läßt sich an den genannten Stellen nichts mehr nachweisen. Die Amerunger Gemarkung ist aus den Schenkungen gut zu rekonstruieren. Ihre Grenze verlief an der Oberkante des Altenautales vom Huserklee bei den Amerunger Teichen nach Osten ausbuchtend über den Backenberg bis zum Sassenberg. Hier wendete sie nach Westen zum Diek (Teich) von Elverssen hinab, schloß auf der jenseitigen Höhe den später gerodeten Neuen Kamp, das Amerunger Feld und das Nonnenholz ein, und verlief weiter bis zur Neuen Mühle im Dalheimer Tal. Jenseits des Tales lagen weiter westlich die Hungerkämpe.
Quellen:
1) siehe Karte
2) Westfälisches Urkundenbuch (WUB) II, C.401, 402.
3) Pagendarm, Amerungen, in: Die Warte, Paderborn, Jg. 1936, S.48, ohne Quellenangabe.
4) Ebda.
5) Ebda.
6) Ass. UB 423.
7) StA Münster, Msc I 127, fol. 89.
8) Ass. UB 975, 982.
9) Ass. UB 977.
10) Ass. UB 931.
11) Ass. UB 983.
12) Nach Pagendarm, Amerungen, 1936, S. 59; ohne Quellenangabe.
13) StA Marburg, Fm Waldeck, OU 10880.
14) StA Marburg, Fm. Waldeck, OU 5955.
19) StA Münster, Msc. I 127, fol. 7ff.
20) StA Münster, Msc I 127, fol. 84.
21) PGAV Act. 71.
22) StA Münster, Msc I 128, fol. 10.
23) StA Münster, Msc I 127, fol. 9.
24) Vgl. unter Rodenbredengut.
25) StA Münster, Msc I 128, fol. 7.
26) Pagendarm, Amerungen, 1936, S. 58.
27) Ebda.
28) Lippert, Zum Heimatfest, 1952.
29) Vgl. Sewardessen.
(30) Wöhlke, Wilhelm: Die Kulturlandschaft des Hardehausener und Dalheimer Waldes im Mittelalter. Münster 1957, S. 12 14.