Die Glashütte zu Marschallshagen
Unweit von Holtheim stößt der Wanderer in einem Wiesentale am Rande der großen Südeggewaldungen auf den Weiler Marschallshagen. Wer heute die idyllisch gelegene Siedlung mit ihren vier Fachwerkhäusern und der Försterei besucht, vermag sich kaum vorzustellen, daß genau an diesem Ort bis zu jenem unglückseligen Kriegsjahre 1917 die bedeutendste Glashütte des damaligen Kreises Büren Glaswaren aller Art produzierte und Dutzenden von Familien Arbeit und Brot sicherte. Eine vom Eggegebirgsverein errichtete und von Theo Schlender geschnitzte Hinweistafel klärt den Besucher seit 1997 über das Schicksal dieses so geschichtsträchtigen Platzes auf.
Die mittelalterliche Geschichte des Ortes soll hier nur gestreift werden. Marschallshagen ist eine alte Siedlung. Von Prof. Dr. Wöhlke in den fünfziger Jahren gemachte Keramikfunde deuten auf eine Besiedelung des Terrains bereits im ausgehenden 12. Jahrhundert hin. Der mittelalterliche Einzelhof Marschallshagen lag nach Wöhlke etwa 200 Meter südöstlich der heutigen Försterei, etwa an der Stelle des sich jetzt dort befindenden Teiches (1). Die Eigentümer von Forst und Hof Marschallshagen wechselten im Laufe der Jahrhunderte häufiger, das Gebiet gehörte als Dotation dem jeweiligen Landmarschall des Fürstentumes Paderborn. Kammerherr Joseph Baron von Spiegel war bei Okkupation des Fürstentums durch Preußen 1802/03 letzter Inhaber dieses Lehens. In den Folgejahren konnte er den knapp 4000 Morgen großen Besitz erwerben (2). Bei der Aufmessung des Urkatasters 1830 sind in Marschallshagen noch keinerlei Gebäude verzeichnet. Immer noch kursierende Behauptungen, die Glashütte habe vor dieser Zeit schon bestanden, sind damit weitgehend widerlegt.
1831 wendet sich das Schicksal der alten Wüstung. Friedrich Ludwig Tenge, in ganz Ostwestfalen und in Lippe tätiger Fabrikant aus Niederbarkhausen (Gutshof zwischen Oerlinghausen und Helpup), erwirbt von der Familie von Spiegel den gesamten Forst Mar-schallshagen. Die ausgedehnten Waldungen sowie 50 bis 60 Morgen große Torfbestände im dortigen Walde waren wie geschaffen zur Anlage eine Glashütte, die ja betriebsbedingt einen sehr großen Holzbedarf zu Feuerungszwecken hatte.
Wann die Hütte letztendlich in Betrieb ging, ist nicht genau bekannt. Karl Lippert datiert den Produktionsbeginn auf 1836, er dürfte aber bereits um 1833 erfolgt sein, da 1834 in einem Schreiben W. Lohmeyer als Factor (=Geschäftsführer) der Hütte genannt wird (3). Als Hüttenmeister (=technischer Betriebsleiter) wird in jenen Jahren ein gewisser Meinold genannt (4). Mündlicher Überlieferung aus Holtheim zufolge wurden in den ersten Jahren bevorzugt Fachkräfte aus dem fernen Böhmen als Glasmacher für die Hütte angeworben, so z.B. Franz Wickel, der 1758 in Franzensbrunn im Kreise Eger geboren war und 1862 mit 104(!) Jahren verstarb. Er war gelernter Tafelglasmacher (5). Tafelglas ist die alte Fachbezeichnung für Fensterglas. Mit der Aufwärtsentwicklung der Glashütte ursächlich verbunden ist der als rasant zu bezeichnende Bevölkerungsanstieg der Gemeinde Holtheim in jenen Jahren.
Der Ausbau der Hütte erfolgte zügig. Von Adam Sommer und von der Witwe Ferdinand Dickmann in Holtheim kaufte Tenge 1837/38 einige Grundstücke in Hüttennähe (auf dem Dreisch, heute allgemein Hüttenfeld genannt), die später größtenteils als Deputatländereien an
Beschäftigte der Hütte vergeben wurden (6). Mit Datum vom 24.06.1838 erwähnt eine Urkunde des Amtes Lichtenau den Bau der Stampfmühle (in Holtheim meist nur kurz „Stampe“ genannt). Auf sie soll hier kurz eingegangen sein. Das erst 1972 abgebrochene Gebäude verfügte über ein Stampfwerk, welches den in der nahen „Sandkuhle“ am Tannenkampe gewonnenen Sandstein zerkleinerte.
Ebenfalls wurden unbrauchbare Schmelzhäfen (das sind die Gefäße für die Glasmasse im Ofen) hier eingestampft, um das so gewonnene Tonmehl dem neuen Schmelzhafenton, der zumeist aus Großalmerode bei Kassel kam, als Magerung beizufügen. Alte Briefköpfe der Fabrik erwähnen die Ausführung von Schleifarbeiten mittels Wasserkraft, was darauf hindeutet, daß sich auch die Schleiferei in dem Gebäude befand. Die bis zuletzt bestehende Raumaufteilung in der Stampe war nicht die ursprüngliche. Die Einteilung der Fenster läßt das erkennen. Im vorderen Gebäudeteil (nach Hüttenschließung Stall und Lagerraum) befanden sich zuerst vier Wohnräume. Dahinter befand sich an der linken Wasserradwelle das Stampfwerk für den Sand. Das rechte Wellenende ragte durch die Wand in den hinteren Gebäudeteil, wo sich ab etwa 1880 die Schleiferei befunden hat. Diese letzteren Räume dienten nach Schließung der Hütte verschiedenen Familien als Wohnräume. Der Antrieb aller Maschinen erfolgte durch ein fast ganz im Gebäudeinneren liegendes, oberschlächtiges Eisenwasserrad von 5 Metern Durchmesser und 65 cm Schaufelbreite. Reste des Stauteiches sowie der etwa 250 Meter lange Mühlengraben sind noch heute (2001) erhalten. Vom Ende des Grabens wurde das Wasser mittels eines etwa 30 Meter langen Holzgerinnes in das Gebäude und auf das Rad geleitet. Folgende Gebäude gehörten unter anderem zur Fabrik: Schmelzhütte, Streckhütte (hier wurde Tafelglas hergestellt), Stampfmühle, Gemenge- und Einbindestube, Holzschuppen und Dörranlage für Brennholz und Torf, Lagerhaus, Hafenstube (zur Herstellung der Schmelzhäfen, das sind Tonbottiche zur Aufnahme der Glasmasse im Ofen) und Hüttenmeisterhaus (später Pächterhaus). In der Nähe der Stampfmühle (am Eingang zum „Tiefen Bruch“) hat alten Karten zufolge auch eine Sandwäsche am Bachlauf existiert, über deren Aufbau und Funktionsweise wir leider nichts mehr wissen. Ferner wurde ein Kontorgebäude und eine zweireihige Arbeitersiedlung mit 10 Wohnungen errichtet (7).
Die Glasfabrik produzierte vor allem Hohlglas. Für die Jahre 1862 bis 1875 ist die durchschnittliche Jahresproduktion von 65000 Dutzend(!) Lampenschirmen im Werte von etwa 120000 Mark erwähnt (8). Ein weiteres Standbein der Hütte war die Produktion von Trinkgläsern aller Art, darunter auch Luxusglaswaren mit geschliffenen Motiven.
Der erste Factor Lohmeyer findet ab 1839 in einem Herrn Hohburg seinen Nachfolger. 1845 wird Hohburg technischer Leiter, Factor wird C.G. Wigand. 1846/47 taucht Robert von Carnap als Factor in Marschallshagen auf (9). Aufgrund von Dienstvergehen wird Carnap 1847 verhaftet und entlassen (10). Der Administrator von Tenges Rietberger Glashütte, Schröder, nimmt ab diesem Jahre die Geschäftsleitung in Marschallshagen wahr. Hüttenmeister Hohburg findet 1851 einen Nachfolger in B.F.C. Brasseur (11). Ab 1864 wird die Glashütte an Gustav Becker (zugl. Eigentümer der Hütten Sießerkamp, Altenböddeken und Oeventrop) und seinen Compagnion H. Pfaff aus Holzminden verpachtet, die den Betrieb weiter durch Administrator Schröder verwalten lassen. Zusätzlich fungiert ab 1864 ein O. Putzler als Factor auf der Hütte, für wie lange, wissen wir nicht. Schröder findet 1872 einen Nachfolger in Factor Julius Schuch, von 1877 bis 1881 ist Emil Mertens als Geschäftsführer tätig. Mit dem Zusammenbruch des Beckerschen „Glasimperiums“ mit endet der Hüttenbetrieb 1880 vorläufig, alle Arbeiter werden entlassen. Ab dem 1.1.1881 taucht als Pächter und Factor in Marschallshagen Johannes Köster aus Meerhof auf, als Hüttenmeister fungiert ein gewisser Kessemeyer, der noch im selben Jahre auf die Glashütte Oeventrop bei Arnsberg wechselt. Karl Lippert berichtet hierzu: „Die Gebäude müssen zu dieser Zeit sehr baufällig gewesen sein, da Köster bis Ende 1881 8000 Mark aufwenden mußte, um die Hütte in Gang zu halten. [….] Ende 1897 kündigte Köster die Pacht von Marschallshagen und erwarb die Glashütte in Ibbenbüren. Wegen der Rückgabe der von Köster investierten Summe kam es zu einem Prozeß mit Tenge. Im Vergleich wurde Köster die Hütte von Tenge 1901 wieder angeboten, wobei zur Tilgung der Summe nur die Hälfte der bisherigen Pacht als Verrechnung gezahlt werden sollte. Köster machte aber von dem Angebot keinen Gebrauch, da er sich schon damals in Köln zur Ruhe gesetzt hatte und seine beiden Söhne Josef und Franz die Ibbenbürener Werke leiteten.“ (12) Von 1897 bis 1899 ist Heinrich Nolte Hüttenpächter. Neuer Pächter von Marschallshagen wird nur zwei Jahre später (1899) Victor Breustedt, der vorher auf der Annahütte in der Lausitz sowie auf der Glashütte Porta an der Weser tätig gewesen war. Forst und Glashütte Marschallshagen kommen nach Karl Tenges Tod 1909 in den Besitz seines Schwiegersohnes, des Oberst a.D. Joachim von Zitzewitz, dessen Familie noch heute Eigentümer des gesamten Areales ist. Ebenfalls 1909 tritt Sebastian Hillebrand, der bereits unter Köster als Buchhalter auf der Hütte tätig war, als Pächter der Marschallshagener Hütte auf. Schon damals zeichnete sich ab, daß er der letzte sein würde.
War auch die Glashütte für ihre ausgezeichneten Erzeugnisse bekannt, konnte doch nichts darüber hinwegtäuschen, daß die großen, kohlengefeuerten Hütten mit Bahnanschluß etc. in den Industrierevieren rentabler zu arbeiten vermochten. Die Glasfabrik in Marschallshagen war sehr abgelegen, der Wegezustand häufig dürftig. Fertigprodukte und Rohstoffe mußten von Holtheimer Bauern und Fuhrleuten zum Paderborner Bahnhof (später zum Neuenheerser Bahnhof) gebracht und geholt werden, was namentlich im Winter heute kaum mehr zu ermessende Schwierigkeiten mit sich brachte. Der Holtheimer Sand ist für klares Glas nur bedingt brauchbar, weshalb auch Sennesand in großer Menge angefahren werden mußte. Noch bekannt als Fuhrleute sind neben anderen vor allem die Gebrüder Schäfers vulgo Grafs aus der Gastwirtschaft „Zum weißen Hirsch“ und der Ackerwirt Schäfers vulgo Dickenjohannes aus Holtheim, die mehrere Gespanne nur für die Glashütte unterhielten. Die Glaswaren wurden in Stroh gewickelt in Holzkisten gepackt, die nach außen noch einmal mit geflochtenen Strohmatten gepolstert wurden. Zum Transport verwandte man eine Art flachen Krümperwagen, ähnlich denen des Heeres. Ein Bild aus jenen Tagen zeigt Art und Weise der Verpackung und des Transportes sehr anschaulich.
Die Erzeugnisse der Hütte waren von ausgezeichneter Qualität. Sie erhielten auf der Industrieausstellung 1870 in Kassel eine Auszeichnung für „Verdienstvolle Leistung“ und 1873 in Wien auf der Weltausstellung ein Anerkennungsdiplom (13). Um gegen die industrielle Konkurrenz bestehen zu können, begann Victor Breustedt mit der Herstellung von Massenartikeln wie Biergläser und Einkochgläser. Letztere trugen die Namen Victor und Westfalia, je nach Größe. Die Herstellung von Trinkgläsern (Bierbechern) wurde durch das sogenannte Absprengverfahren rationalisiert. Josef Micus (Lehrer in Holtheim von 1904 bis 1910) beschreibt dies so: „Die Becher (Gläser ohne Fuß) wurden in eine Holzform geblasen, welche sich durch Fußdruck öffnete. Hierbei behielten die Gläser aber einen angerauhten Hals, der in einer Maschine von einer Stichflamme abgesprengt wurde. Den verbleibenden rauhen, scharfen Rand verschmolz die gleiche Maschine im anschließenden Arbeitsgang.“ (14). Der Glasofen in Marschallshagen war nach Lippert ein einfacher Rechteckofen mit direkter Holzfeuerung und daher nicht gerade auf dem neuesten Entwicklungsstand. Man war aber allgemein der Ansicht, daß die sogenannte „Böhmische“ mit Holzfeuerung der „Belgischen Arbeitsweise“ mit Kohlefeuerung vorzuziehen sei, da sie besseres Glas hervorbringe als jene. Da die Holzfeuerung aber auf die Dauer zu unrentabel wurde, stellte man um das Jahr 1900 herum den Betrieb auf die Feuerung mit selbsterzeugtem Generatorgas („Holzgas“) um, was eine bedeutende Brennstoffersparnis zur Folge hatte. Anton Knaup aus Holtheim, der in jungen Jahren in Marschallshagen „auf der Maschine“, nämlich an Dampfmaschine und Gaserzeuger, arbeitete, berichtete, der Maschinenpark habe bei vollem Schmelzbetriebe pro Tag die sehr hohe Menge von 60 Raummetern Holz verschlungen. An den Schmelzofen angeschlossen war ein Kühlofen zum langsamen Abkühlen des fertigen Glases. Die Zahl der auf der Hütte beschäftigten Personen schwankt zwischen 39 und 57. In den letzten Betriebsjahren sollen es mündlicher Überlieferung nach um die 100 gewesen sein. Davon waren die wenigsten Glasmacher.
Am Glasofen selbst arbeiteten mehrere „Arbeitsstühle“. Zu einem „Stuhl“ gehörten, nach Alter aufsteigend, folgende Personen: 1. Der Einträger (14-15 Jahre, bringt das fertige Glas mit einer Holzgabel in den Kühlofen), 2. der Trommeljunge (15-16 Jahre, holt Glas aus dem Ofen), 3. der Ballotmacher (17-21 Jahre, bläst den Bauch des Glases), 4. der Vorbläser (formt das Glas und macht es fertig), 5. der Stuhlmeister (mindestens 35 Jahre alt, sitzt als einziger auf dem speziellen Arbeitsstuhl und versieht das Glas mit dem Fuß). Nach Arbeitsende hatten die Glasmacher das Recht, Reste aus dem Ofen zu „verblasen“. Vor allem wurden dann Gebrauchsgegenstände, aber auch wunderschöne Blumenvasen etc., hergestellt. Zu diesen Arbeiten zählen auch die bunten Briefbeschwererkugeln mit und ohne Fuß, die bei der Herstellung große Kunstfertigkeit erforderten und früher wohl auf keiner Holtheimer Fensterbank fehlten. Wenige sind bis heute erhalten geblieben.
1875 wohnten in Marschallshagen 92 Personen in 15 Häusern (16). Eine eigene Quelle oberhalb des Forsthauses versorgt die Siedlung auch heute noch mit Wasser. Eine zweite Quelle befand sich direkt am oberen Ende des unteren Arbeiterhauses. Gutes Wasser liefert auch der Zuckerbrunnen unterm Tannenkamp, hinter der Stampemühle. Die Kinder warfen ein Zuckerstück hinein und wünschten sich ein Geschwisterchen, erzählt man. Ein Problem unter den Glasmachern war häufig deren Hang zum Alkoholgenuß (hier vor allem Kornbranntwein), der bei der schweren Arbeit in großer Hitze wenigstens teilweise erklärlich ist, aber mündlichen Aussagen zufolge auch manche Familie trotz guten Verdienstes nicht gerade reich werden ließ. Bereits 1858 wurde auf der Hütte eine „Unterstützungskasse“ und eine „Fabrik-Krankenkasse“ gebildet, deren Satzung und Geschäftsunterlagen noch vorhanden sind (17). Im Falle von Krankheit oder Schwangerschaft wurde den Beschäftigten ein Krankengeld zwischen einer und 3,50 RM täglich gezahlt. Ebenfalls erhielten die Invaliden, sofern sie länger als 10 Jahre eingezahlt hatten, eine Invalidenrente. 1874 lag bei 32 Versicherten die Unterstützungssumme z.B. bei 532,73 RM. Die Betriebskrankenkasse wurde der einfacheren Verwaltung wegen 1894 der AOK Lichtenau angegliedert (18). Die Einkommenslage auf der Hütte war, besonders für die Fachkräfte, sehr gut. Zusätzlich hielten die Glasmacherfamilien noch einige Ziegen, ev. auch ein Schwein. Apfel- und Kirschbäume standen in größerer Zahl bei der Hütte, ein riesiger Kirschbaum aus dieser Zeit ist noch auf uns gekommen und trägt heute wie vor hundert Jahren noch Früchte.
Es war eine eigene kleine Welt „auf der Hütte“. Von Außenstehenden oft als „Hüttenpümmels“ verunglimpft, waren die Glasmacher trotzdem ein lebenslustiges und auch musikalisches Völkchen. So wurde der Holtheimer Männergesangverein „Eintracht“ ursprünglich als Glashüttengesangverein gegründet. Der letzte Glasfactor Sebastian Hillebrand versuchte noch einmal, die Glashütte gegen die übermächtige Konkurrenz wettbewerbsfähig zu machen. Bereits nach Kriegsausbruch 1914 traten erste Schwierigkeiten auf. Die Holtheimer Kirchenchronik berichtet dazu: „Die hiesige Glashütte arbeitete zu Anfang des Krieges an einzelnen Tagen der Woche nicht. Der Grund war meistens das Fehlen von Salpeter oder weil keine Waggons für Sand oder sonstiges zu bekommen waren. Diese Schwierigkeiten wurden aber schon bald behoben, als die Hütte Aufträge für die Heeresverwaltung (Lazerette besonders) bekam. Seit dem hat die Hütte Arbeit in Hülle und Fülle, bloß daß die Zahl der Arbeiter infolge der Einberufungen immer mehr zusammenschmolz, sodaß (am) 1.I.16 nur noch die Hälfte Arbeiter vorhanden sind von der Zahl zu Friedenszeiten.“ (19). Die beschriebene wirtschaftliche Blüte scheint nur kurz gewesen zu sein. Mündlichen Aussagen nach bemühte sich Hillebrand noch verzweifelt, bei der Heeresverwaltung die Einberufung von Glasmachern zu verhindern. Es war alles vergebens.
Das Feuer der Glasfabrik Marschallshagen erlosch 1917 für immer. Die Holtheimer Kirchenchronik berichtet in Band 1 ausführlich über die letzten Monate der Hütte: „Die Glasfabrik im nahen Marschallshagen hatte auch unter dem Kriege zu leiden. Schon gleich zu Beginn des Krieges wurden mehrere Arbeiter eingezogen, ihre Zahl wurde dann immer kleiner. Teilweise traten junge Mädchen in ihre Plätze, wie es auch in anderen Fabriken der Fall war, nicht zum sittlichen Heil der Mädchen. So konnte die Glasfabrik wenigstens den Betrieb aufrecht erhalten. Als dann jedoch das Material immer knapper wurde und der Pächter Sebastian Hillebrand schon zuweilen einige Tage aussetzen mußte, wurde der Betrieb Ende Oktober 1917 stillgelegt. Dadurch kamen eine Reihe Arbeiter aber um ihren Verdienst, die jedoch später in der Forst wieder Beschäftigung fanden.“ (20). Nur schwer können diese kurzen Chronikzeilen den ungeheuren Verlust an Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen für die Gemeinde Holtheim schildern. Viele Fachkräfte gingen auf die Hütten nach Siebenstern und Driburg, einige auch in das Ruhrgebiet, der Rest wurde, wie erwähnt, Waldarbeiter.
In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Wohn- und Betriebsgebäude nach und nach abgebrochen. Zwei der Arbeiterhäuser blieben je zur Hälfte stehen (an der neuen Giebelfront noch jetzt zu erkennen) und werden auch heute noch zu Wohnzwecken genutzt. Ebenfalls erhalten ist das einst direkt an die Hütte angebaute Kontorgebäude. Die angrenzende Streckhütte fiel 1960 der Spitzhacke zum Opfer, sie hatte zuletzt als Scheune gedient. Gleiches Schicksal widerfuhr 1972 der alten Stampfmühle. Lediglich die beiden letzten Arbeiterhäuser und das ehemalige Verwaltungsgebäude sind bewohnt und sehr gepflegt. Sie bilden zusammen mit dem im Jahre 1900 errichteten Forsthause (in Holtheim nur „Villa“ genannt) und dessen Wirtschaftsgebäude eine malerische kleine Ansiedlung.
So ging die Geschichte auch über die Marschallshagener Glashütte und ihre Menschen hinweg und den Vorbeikommenden erinnert jetzt fast nichts mehr an das einst so geschäftige Treiben an diesem heute so stillen Ort. Lebendig bleibt seine einstige Bestimmung lediglich im Sprachgebrauch: Die Holtheimer sprechen selten von „Marschallshagen“, zumeist wird kurz und einfach die Bezeichnung „auf der Hütte“ benutzt.
Vieles aus der Hüttengeschichte konnte, da die Zeitzeugen bereits alle verstorben sind, der Vergangenheit nicht mehr entrissen werden. Zahlreiche Aussagen älterer Bewohner widersprechen sich häufig gegenseitig und können dann als Informationsquelle leider nicht dienen. Über weitere Hinweise aller Art wäre der Verfasser trotzdem jederzeit sehr dankbar.
Literatur:
- Wöhlke, Wilhelm: Die Kulturlandschaft des Hardehausener und Dalheimer Waldes im Mittelalter. Münster 1957, S. 9ff.
- Lippert, Karl: Ort und Glashütte Marschallshagen. In: Die Warte, Paderborn. Jg 1961, S. 11ff.
- Archiv Tenge Rietberg (ATR) Best. V Nr. 320.
- wie 2.
- wie 2.
- wie 2.
- wie 2.
- Freiherr v. Oeynhausen: Statistische Darstellung des Kreises Büren nach amtlichen Quellen bearbeitet. Brilon / Büren 1877, S. 85.
- Vgl. ATR Best. V Nr. 1076
- ATR Best. V Nr. 323 und 1076
- In: ATR Best. V Nr. 329
- wie 2.
- Wichert-Pollmann, Ursula: Das Glasmacherhandwerk im östlichen Westfalen. Münster, Aschendorff 1963, S. 20.
- Micus, Josef: Glück und Glas in Marschallshagen. In: Die Warte. Paderborn, Jg 1961, S. 41f.
- wie 2.
- Die Wohnplätze des Deutschen Reiches. 1. Abtheilung: Das Königreich Preußen, 3. Bd. Berlin, 2. Auflage 1885, S. 410f.
- Staatsarchiv Detmold, Signatur MIU Nr. 1518
- Staatsarchiv Detmold, Signatur MIU Nr. 1518
- Kirchenchronik der Gemeinde Holtheim, Teil 1 (ab1900)
- Kirchenchronik der Gemeinde Holtheim, Teil 1 (ab1900)
3, 9, 10 und 11 entnommen aus: Konersmann, Marschallshagen (s.u.)
Benutzte und weiterführende Literatur:
- Konersmann, Frank: Marschallshagen. Rietberg 1999. (Unveröffentl. Manuskript)
- Lippert, Hermann-Josef: Die Blankenroder Glashütte auf Sießerkamp.
- Blankenrode 1982. (Unveröffentl. Manuskript).
- Lippert, Karl: Einiges zur Geschichte der Glasindustrie im Kreise Büren. In: Heimatbuch des Kreises Büren. Büren 1923, S. 81 – 84.
- Chronik der Kirchengemeinde Holtheim, Teil 1 (ab 1900, Pfarrarchiv Holtheim).